Home­of­fice — Fluch oder Oase?

Mona­te­lang haben vie­le Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer zwi­schen ihren eige­nen vier Wän­den im Home­of­fice ver­bracht. Wie sich die Stress­be­la­stung durch die digi­ta­le Arbeit ver­än­dert, zei­gen inzwi­schen zahl­rei­che Stu­di­en wie etwa die des Fraun­ho­fer FIT.

Für die Stu­die “Digi­ta­le Arbeit wäh­rend der COVID-19-Pan­de­mie” wur­den zwei quan­ti­ta­ti­ve Daten­er­he­bun­gen durch­ge­führt, eine von Dezem­ber 2018 bis Febru­ar 2019 und eine im April und Mai 2020 – einer Hoch­pha­se der Pan­de­mie in Deutsch­land. Von den 5.005 befrag­ten Beschäf­tig­ten des ersten Zyklus haben 1.017 Per­so­nen auch bei der zwei­ten Daten­er­he­bung teilgenommen.

Die Stu­die zeigt auf, dass es von einer Viel­zahl indi­vi­du­el­ler Fak­to­ren abhängt, ob Men­schen gut oder schlecht mit der ver­än­der­ten Arbeits­si­tua­ti­on zurecht­kom­men. Danach sind Füh­rungs­kräf­te im Schnitt deut­lich bes­ser an die digi­ta­le Arbeit gewöhnt als Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mitarbeiter.

Laut Stu­di­en­ergeb­nis­se sol­len Men­schen mit Kin­dern bei­spiel­wei­se stär­ker unter der aktu­el­len Situa­ti­on lei­den im Umgang mit digi­ta­len Tech­no­lo­gien als Men­schen ohne Kin­der. Dar­über hin­aus gibt es wei­te­re digi­ta­le Belastungsfaktoren.

Digi­ta­le Bela­stungs­fak­to­ren im Homeoffice

Von digi­ta­lem Stress spre­chen Exper­ten, wenn Stress­re­ak­tio­nen durch die Nut­zung digi­ta­ler Tech­no­lo­gien aus­ge­löst wer­den. Für digi­ta­le Arbeit sind inzwi­schen zwölf Bela­stungs­fak­to­ren bekannt, die Stress aus­lö­sen oder ver­stär­ken sollen:

  1. Nicht-Ver­füg­bar­keit bestimm­ter Tech­no­lo­gien (schwie­rig, wenn ande­re im Team drauf zugrei­fen können)
  2. Man­geln­de Erfolgs­er­leb­nis­se (neh­men Moti­va­ti­on, erhö­hen Frust)
  3. Kom­ple­xi­tät digi­ta­ler Tech­no­lo­gien (meist gibt es kei­ne Einweisung)
  4. Infor­ma­ti­ons­über­flu­tung (zeit­li­cher Mehr­auf­wand für die Selek­ti­on von Relevantem)
  5. Angst vor dem Ver­lust des Arbeits­plat­zes durch Auto­ma­ti­sie­rung (Job­un­si­cher­heit blockiert und unter­gräbt auf Dau­er das eige­ne Können)
  6. Lei­stungs­über­wa­chung durch Tech­no­lo­gien (is big brot­her watching me?)
  7. Ver­un­si­che­rung auf­grund des ste­ten Wan­dels der Tech­no­lo­gien (per­ma­nen­te Anpas­sung an das Neue ver­schwen­den Res­sour­cen wie Zeit)
  8. Angst vor dem Ver­lust der Pri­vat­sphä­re (glä­ser­ne Per­son oder gilt als “unlocker”, wenn kei­ne “Pri­va­ti­sie­rung” mit gelebt wird)
  9. Stän­di­ge Erreich­bar­keit und damit ver­bun­de­ne Erwar­tungs­hal­tung (Ablen­kung steigt, Fokus­sie­rung und Kon­zen­tra­ti­on sinken)
  10. Unzu­ver­läs­sig­keit der tech­ni­schen Syste­me (es ent­steht Mehr­ar­beit, Frust etc.)
  11. Kon­zen­tra­ti­ons­pro­ble­me durch Unter­bre­chun­gen (Arbeit dau­ert länger)
  12. Unklar­heit der Rol­le (fach­li­che vs. tech­ni­sche Aufgaben)

Gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lun­gen bei digi­ta­lem Stress

In der aktu­el­len Stu­die wur­den die Beschäf­tig­ten nun vor und wäh­rend der Covid-19-Pan­de­mie dazu befragt, wie sie die­se Bela­stungs­fak­to­ren emp­fin­den. Dabei zeigt sich ins­ge­samt ein sehr unter­schied­li­ches Bild: So haben Pro­ble­me, die der digi­ta­len Arbeit zuzu­ord­nen sind, wie die Nicht-Ver­füg­bar­keit von digi­ta­len Tech­no­lo­gien, man­geln­de Erfolgs­er­leb­nis­se, die Unklar­heit der Rol­le oder die Omni­prä­senz von digi­ta­len Tech­no­lo­gien, ins­ge­samt zugenommen.

Als Fol­ge redu­zier­ten sich Aspek­te, die auf Uner­fah­ren­heit im Umgang mit IT zurück­zu­füh­ren sind. Dazu zäh­len unter ande­rem Infor­ma­ti­ons­über­flu­tung, Lei­stungs­über­wa­chung, Ver­un­si­che­rung und Job­un­si­cher­heit. So sind also man­che digi­ta­le Bela­stungs­fak­to­ren gestie­gen und ande­re hin­ge­gen gesunken.

Wer und was genau neh­men Einfluss?

Um den Ein­fluss von beruf­li­chen, pri­va­ten und per­sön­li­chen Kon­text­fak­to­ren auf den emp­fun­de­nen digi­ta­len Stress zu unter­su­chen, haben die Stu­di­en­au­toren auch Dis­kus­sio­nen von Fach­ver­an­stal­tun­gen her­an­ge­zo­gen. Danach konn­ten drei Fak­to­ren fest­ge­stellt wer­den, die Unter­schie­de bewirken:

  1. Home­of­fice-Erfah­rung: Sie hilft dabei, bes­ser mit den Anfor­de­run­gen, die sich aus der zuneh­men­den Nut­zung digi­ta­ler Tech­no­lo­gien und Medi­en erge­ben, zurechtzukommen.
  2. Füh­rungs­ver­ant­wor­tung: Wäh­rend des Lock­downs nimmt der digi­ta­le Stress für Füh­rungs­kräf­te ab. Gera­de der Bela­stungs­fak­tor Omni­prä­senz war für vie­le schon vor der Pan­de­mie ein Stressfaktor.
  3. Zuver­sicht für digi­ta­les Arbei­ten: Wer zuver­sicht­li­cher ist, im Hin­blick eige­ner digi­ta­ler Kom­pe­ten­zen, Tech­no­lo­gien und Medi­en, emp­fin­det auch wäh­rend des Lock­downs weni­ger digi­ta­len Stress.

Mehr pri­va­te Anfor­de­run­gen wäh­rend der Corona-Zeit

Laut der Stu­die sind dar­über hin­aus vor allem pri­va­te Anfor­de­run­gen wäh­rend der Pan­de­mie gestie­gen, ins­be­son­de­re finan­zi­el­le Sor­gen, aber auch emo­tio­na­le Anforderungen.

Gleich­zei­tig fin­den die Befrag­ten inner­halb des eige­nen Haus­halts weni­ger Unter­stüt­zung, da vie­le glei­cher­ma­ßen betrof­fen sind. Die Aus­wir­kun­gen zei­gen sich unter ande­rem in einem erhöh­ten Work-Home-Kon­flikt, also dem Gefühl, Arbeits- und Pri­vat­le­ben nicht mehr aus­rei­chend erfül­len zu können.

Exper­ten beob­ach­ten zwar einer­seits die Redu­zie­rung der Arbeits­zeit. Gleich­zei­tig ver­län­gern sich aber die Arbeits­zeit­räu­me, in denen Erwerbs­tä­ti­ge arbei­ten, etwa früh­mor­gens oder spät­abends. Die Tren­nung von Home­of­fice und Pri­vat­le­ben wird für vie­le Arbeit­neh­me­rin­nen und Arbeit­neh­mer immer unkla­rer. Der Wunsch nach kla­rer Tren­nung nimmt in Haus­hal­ten wie­der zu.

Auch nimmt für vie­le der Stress zu. Das Inter­net bei­spiels­wei­se für wich­ti­ge Job-Emails funk­tio­niert am Vor­mit­tag nicht. Der Chef fragt schon nach der fer­ti­gen Prä­sen­ta­ti­on und im Hin­ter­grund strei­ten die Kin­der hör­bar in der Video­kon­fe­renz, wann das Mit­tag­essen end­lich fer­tig ist? 

Nicht sel­ten gehen da für vie­le Home­of­fice-Mit­ar­bei­ter der Adre­na­lin- und Cor­ti­sol­spie­gel durch die Decke und abends lan­det so man­cher kraft- und geduld­los auf dem Sofa. 

Obwohl tags­über digi­ta­le Tools zur Kol­la­bo­ra­ti­on, Steue­rung, Kom­mu­ni­ka­ti­on und Koope­ra­ti­on eigent­lich die digi­ta­le Arbeit erleich­tern sol­len, pas­siert vie­ler­orts das Gegen­teil. Dem­entge­gen beschleu­ni­gen die rasch fort­schrei­ten­de Ent­wick­lung und Zunah­me die­ser Tech­no­lo­gien das Leben. Gleich­zei­tig ent­gren­zen sie die Bezie­hungs­ebe­ne von der Arbeitswelt. 

Aktu­el­le Stu­di­en zei­gen, dass vie­le Men­schen die­se Ent­wick­lung nicht unbe­dingt als Unter­stüt­zung sehen. Viel­mehr erle­ben sie bei der Gestal­tung von Home­of­fice „digi­ta­len Stress“ und reagie­ren schon jetzt zum Teil hef­tig mit Erschöp­fung und Gereizt­heit an ihre Gren­zen. Auch nimmt die Angst vor Job­ver­lust zu.

Autorin: Maria Vaske